Die Unternehmensführung von Familienunternehmen unterscheidet sich häufig durch einzigartige Merkmale von den Standards in Nichtfamilienunternehmen. Verhilft diese untypische Governance Familienunternehmen zu einer besseren finanziellen Performance?

Familienunternehmen – von Kleinbetrieben bis hin zu multinationalen börsennotierten Konzernen – sind eine wichtige Säule der Wirtschaft, die stabile Arbeitsplätze schafft. Doch bringt ihre einzigartige Unternehmensführung tatsächlich strategische, finanzielle oder gar börsenrelevante Vorteile mit sich? Der letztgenannte Faktor ist durchaus relevant, denn Familienunternehmen sind an der Börse sehr präsent: In den französischen Top 250 sind mehr als 40 Prozent der Unternehmen familiengeführt, im S&P 500 sind es mehr als ein Drittel.

Governance-Praktiken abseits herkömmlicher Standards, ...

Mangels offizieller Definition gilt ein Unternehmen gemeinhin als Familienunternehmen, wenn die Entscheidungsbefugnis – in Form der Stimmrechte bei der Hauptversammlung – mehrheitlich bei einer oder mehreren Gründerfamilien liegt. Den Auftakt einer fundierten ESG-Analyse bildet eine Bestandsaufnahme der Governance-Standards, von denen so mancher Purist überrascht sein könnte.

Tatsächlich schneiden Familienunternehmen bei den klassischen Themen wie der Zusammensetzung des Verwaltungsrats, der Gewährung von Mehrfachstimmrechten, der Dividendenpolitik und der Vergütungspolitik tendenziell schlechter ab als andere Unternehmen, insbesondere in Frankreich¹:

Mit Blick auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrats fällt die Funktion des Verwaltungsratspräsidenten öfter mit der Funktion des Generaldirektors im Verwaltungsrat zusammen als bei Nichtfamilienunternehmen. Zudem gibt es in Familienunternehmen naturgemäß weniger unabhängige Verwaltungsratsmitglieder als in Nichtfamilienunternehmen.
Bei der Nachfolgeplanung können sich Familienunternehmen transparent am Markt positionieren, wenn die folgenden Generationen schrittweise an die Nachfolge herangeführt werden.
In ihren Satzungen werden mehr Mechanismen mit doppelten Stimmrechten gewährt, wodurch Minderheitsaktionäre möglicherweise weniger Entscheidungsgewalt haben.
Die Gewinnverwendung in Form einer Dividendenausschüttung (Pay-out) war bei familiengeführten Unternehmen in den letzten vier Geschäftsjahren weniger üblich als bei Nichtfamilienunternehmen.
Was die Vergütung der Führungskräfte betrifft, so ist die Tendenz bei den größten Familienunternehmen mit hoher Marktkapitalisierung positiv. Der Anteil der langfristigen Vergütung an der gesamten variablen Vergütung ist bei Familienunternehmen geringer als bei anderen Unternehmen.

... die jedoch mit untypischen Vorzügen überzeugen

Familienunternehmen haben zwar weniger lobenswerte Governance-Standards als ihre nicht familiengeführten Pendants, können dafür aber mit anderen Vorzügen aufwarten. So belegen Forschungsergebnisse Folgendes:

Da Führungspositionen mehrheitlich mit Familienmitgliedern besetzt sind, gibt es weniger Bürokratie, was wiederum schnelle Entscheidungen und Wettbewerbsvorteile mit sich bringt.²
Die gut aufeinander abgestimmten Ziele des Führungsteams und eine langfristige Vision sind Differenzierungsmerkmale, mit denen sich die Unternehmensleistung steigern lässt.²
Die Rolle des Verwaltungsrats ist für die Beilegung von Konflikten zwischen verschiedenen Familien- und/oder Minderheitsaktionären entscheidend.³
Eine familiäre Besitzstruktur steht in positivem Zusammenhang mit der Unternehmensleistung. Diese Korrelation ist besonders hoch, wenn die Familienmitglieder Geschäftsführer, Führungskräfte, Vorsitzende oder Verwaltungsratsmitglieder des Unternehmens sind.⁴
Der Zusammenhang zwischen familiärer Besitzstruktur und Unternehmensleistung tritt bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) deutlicher zutage als bei Großunternehmen.⁴

Diese Vorzüge scheinen Familienunternehmen auf Dauer auch einen Vorsprung an der Börse zu verschaffen, wie eine Studie der Crédit Suisse zeigt.5 Die zwischen 2006 und 2022 beobachteten 1.000 globalen börsennotierten Unternehmen in Familienbesitz haben Nichtfamilienunternehmen um durchschnittlich 3 % pro Jahr übertroffen. Bei diesen Ergebnissen ist jedoch zu berücksichtigen, dass Eigentümerfamilien in der Regel einen sehr langfristigen und Minderheitsaktionäre möglicherweise einen kürzeren Investitionshorizont haben.

Performance von Familien- und Nichtfamilienunternehmen

Quelle: Crédit Suisse, Refinitiv

Keine voreiligen Schlüsse und eine vorsichtige, eher risiko- als chancenorientierte ESG-Analyse

Natürlich gibt es von Familienunternehmen zu Familienunternehmen Unterschiede und es ist schwierig, eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen. Unserer Auffassung nach sollte die Unternehmensführung bei jedem Familienunternehmen einzeln untersucht werden. In drei Fällen ist das Governance-Risiko allerdings erhöht:

in Unternehmen, in denen die Familie noch im Management vertreten ist (Risiko der Nachfolge / der Abhängigkeit von Schlüsselpersonen, zum Beispiel bei Nachfolge eines Gründers, vgl. LVMH, EssilorLuxottica)
in Unternehmen, in denen die Familie unverhältnismäßig stark im Verwaltungsrat vertreten ist (Mangel an externen Kontrollen / gestaltenden Kräften, vgl. OVHcloud, Bouygues)
in Unternehmen, in denen der Aktienbesitz auf verschiedene Zweige der Familie verteilt ist (Risiko von Meinungsverschiedenheiten, die sich negativ auf Minderheitsaktionäre auswirken können, vgl. SEB)

Familienunternehmen weisen Besonderheiten in der Corporate Governance auf, die nicht unbedingt den allgemein anerkannten Standards entsprechen. Trotz ihrer Komplexität lässt sich die Unternehmensführung durch effektives Shareholder Engagement und anpassungsfähige Abstimmungspraktiken bei Hauptversammlungen optimieren. Mit breit aufgestellten Verwaltungsräten, großer Transparenz und sorgfältiger Nachfolgeplanung kann es diesen Unternehmen gelingen, nicht nur ihre strukturspezifischen Herausforderungen zu bewältigen, sondern auch langfristig ihre Leistungsfähigkeit und Resilienz zu stärken.

Quellen:
¹ Daten bereitgestellt von Proxinvest, Analyse Mandarine Gestion.
² Sabri Boubaker, Bang Dang Nguyen, Duc Khuong Nguyen, Corporate Governance, Springer, 2012.
³ Sir Adrian Cadbury, Family Firms and their Governance Creating Tomorrow’s Company from Today’s, Egon Zehnder International, 2000.
⁴ Family ownership and firm performance: Influence of family management, family control, and firm size, Asia Pacific Journal of Management, 26. November 2009.
⁵ Credit Suisse, The Family 1000: Family values and value creation report, 2023.

Wie gut vertragen sich Governance und Familie?

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